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Praxis

Die glorreichen Sieben

Ordnung im Antibiotika-Dschungel bei ambulant erworbenen Infektionen

 
PD Dr. med. Dieter Hassler

Was haben der Filmklassiker “The Magnificent Seven“ mit Charles Bronson und Horst Buchholz in den Hauptrollen mit Antibiotika gemeinsam? Auf den ersten Blick, so möchte man meinen, gar nichts. Doch beim zweiten  Blick sind Gemeinsamkeiten auffällig: Die sieben Westernhelden schaffen es, ein mexikanisches Dorf erfolgreich vor den jährlich einfallenden Übeltätern zu schützen, und es sind auch sieben Antibiotika, mit denen man in der allgemeinmedizinischen Praxis die alljährlich wiederkehrenden bakteriellen Infektionen bei seinen Patienten erfolgreich und wirtschaftlich therapieren kann.

Und der Preis dafür? Die Kosten für die Antibiotikatherapie machten im Jahr 2003 im niedergelassenen Bereich nur ca. 2,6% gemessen am Apothekengesamtmarkt in Deutschland aus. Damit rangieren die Antibiotika an 10. Stelle der verordneten rezeptpflichtigen Arzneimittel. Etwa zwei Drittel der in der  Praxis verordneten Antibiotika entfallen dabei auf den Bereich der Atemwegsinfektionen. Daher meine Empfehlung: “Nicht an Antibiotika sparen, sondern mit Antibiotika sparen.“

Ganz sicher: Nicht jeder Patient, der schnupft und schnieft, braucht ein Antibiotikum. Häufig sind virale Infektionen durch Rhino- oder Coronaviren die Ursache. Es können sich aber sekundär bakterielle Erreger einfinden, die kalkuliert und möglichst gezielt mit einem Antibiotikum behandelt werden müssen, um Folgeerkrankungen zu vermeiden. In der Praxis erfolgt der Einsatz des Antibiotikums meist empirisch, d.h. ohne Kenntnis der aktuell vorliegenden Erreger. Kalkulierte Antibiotikatherapie heißt, die bei den einzelnen Indikationen am häufigsten zu erwartenden Bakterien („Leitkeime“) jeweils im Spektrum des gewählten Antibiotikums zu haben. Ein Antibiogramm ist nur in Ausnahmefällen wie z. B. bei Versagen der kalkulierten Initialtherapie, bei lebensbedrohlichen Infektionen oder chronifizierten Infektionen notwendig.

Nur, welches Antibiotikum ist für welche Indikation am besten geeignet? Der „Antibiotika-Dschungel“ wird immer dichter, welche Schneisen lassen sich ins Dickicht schlagen?

 

Welche Infektionen sind in der niedergelassenen Praxis am häufigsten?

Abbildung 1 zeigt deutlich: Am häufigsten kommen Atem- und Harnwegsinfektionen in der Praxis vor. Haut- und Weichteilinfektionen spielen nur eine untergeordnete Rolle.

 

 

Welche Antibiotikagruppen spielen in meiner Praxis eine Rolle?

Basierend auf den aktuellen Therapieempfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft1), den Vorschlägen von Simon und Stille zur “Antibiotikatherapie“2) und dem Heft „Therapie häufiger Infektionen in der täglichen Praxis“  von Rosenthal und Shah3)sieht die Besetzung der „Glorreichen 7“ wie folgt aus (Tab.1):

Tetracycline: Aus dieser Gruppe wird nur noch Doxycyclin eingesetzt, wegen der Resistenzsituation gegenüber den meisten „typischen“ Erregern jedoch nicht mehr als Initialtherapie. Empfehlenswert aber bei den sogenannten „atypischen“ Erregern wie Chlamydien, Mycoplasmen, Rickettsien und Borrelien (Lyme Borreliose im Frühstadium).

Makrolide: Makrolide sind mit ihrem günstigen Wirkspektrum bei gleichzeitug sehr guter Verträglichkeit vor allem für Kinder reserviert. Vom breiten Einsatz auch im Erwachsenen-Bereich ist wegen der alarmierend steigenden Zahl Makrolid-resistenter Stämme eher zu warnen. Makrolide sollten für pädiatrische Fälle vorbehalten werden, denn bei Kindern sind nur wenige therapeutische Alternativen verfügbar!

Penicilline:  Nach wie vor ist Pen V gut wirksam bei der Tonsillitis/Pharyngitis, egal ob beim Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen

Cephalosporine: Hier ist die unterschiedliche Wirksamkeit zu bedenken. Die „alten“ Cephalosporine (Gruppe1, z.B. Panoral®) haben eine gute Wirksamkeit im grampositiven Bereich, wirken jedoch nicht bei gramnegativen Erregern wie z.B. Haemophilus, Moraxella oder E. coli. Einige Cephalosporine der Gruppe 3 (z. B. Keimax®) sind nicht sicher wirksam im grampositiven Bereich, z.B. gegen Pneumokokken, dafür aber stärker im gramnegativen Bereich. Atypische Erreger werden von keinem Cephalosporin erfasst. Zu empfehlen bei Atem- und Harnwegsinfektionen im pädiatrischen Bereich sowie bei Haut- und Weichteilinfektionen. Auch die Otitis media ist eine Einsatzindikation.

Ketolide: Bisher ist nur Telithromycin (Ketek®) auf dem Markt. Die Gruppe erfasst die relevanten Erreger bei Atemwegsinfektionen (Sinusitis, Otitis, Bronchitis, Pneumonie) einschließlich der „atypischen“ Erreger wie Chlamydien, Mycoplasmen und Legionellen. Es ist auch bei makrolidresistenten Keimen in der Regel noch wirksam.

Co-trimoxazol: Noch gute Wirksamkeit im gramnegativen Bereich, daher bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen gut geeignet. Allerdings ist der lokal unterschiedliche Anstieg der Resistenz von  Escherichia coli (15 – 20%) zu berücksichtigen.

Fluor-Chinolone: Breit wirksame Antibiotika: Achtung: Ältere Chinolone z.B. Ofloxacin oder Ciprofloxacin zeigen lediglich eine gute Wirksamkeit im gramnegativen Bereich (Harnwegsinfektionen) aber eine ausgeprägte „Pneumokokken-Lücke“ (Leitkeim bei Atemwegsinfektionen)! Levofloxacin und Moxifloxacin haben eine verbesserte Wirksamkeit im grampositiven Bereich; ebenso bei „atypischen“ Erregern. Bei Patienten mit internistischen Begleiterkrankungen eignet sich besonders vom Spektrum her Levofloxacin (Tavanic®), das zusätzlich auch gut verträglich mit Co- oder Grundmedikation dieser Patienten ist.

 

Wie sieht konkret die Besetzung der Hauptrollen aus?

Um im Bild zu bleiben: Die Besetzung der Hauptrollen mit unseren 7 Akteuren erfolgt so, dass die kalkulierte Initialtherapie der häufigsten bakteriellen Infektionen in der Praxis ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Wir gehen dabei grob von 3 Patientengruppen aus: 1. Patienten mit (internistischen) Begleiterkrankungen („Dicke Krankenakte“), 2. Patienten ohne Begleiterkrankungen („Dünne Krankenakte“) und 3. Kindern (vergl. Abbildung 2 und 3).

 

Unsere Hauptdarsteller im Einzelnen

Infektionen der oberen Atemwege:

Wird eine bakterielle Tonsillitis diagnostiziert, unabhängig von der Patientengruppe, ist Penicillin V Mittel der Wahl gegen den Leitkeim Streptococcus pyogenes.

Otitis media: Bei Erwachsenen und Kindern eignen sich Cephalosporine gleichermaßen. Bei Kindern bieten sich ebenfalls die Penicilline als Alternative an.

Sinusitis: bei den Patienten ohne Chronifizierung ist ein Ketolid wie z.B. Ketek® erste Wahl, bei chronisch-rezidivierender Sinusitis ist Levofloxacin (Tavanic®) eine Alternative. Bei Kindern sind hier die Cephalosporine  wie z.B. Cefuroximaxetil (Elobact®), Loracarbef (Lorafem®) oder Cefpodoximproxetil (Orelox®) zu empfehlen. Wichtig: kein Cephalosporin mit Staphylokokkenlücke bei Sinusitis!

Infektionen der unteren Atemwege:

Bronchitis/Pneumonie: Bei Patienten mit pulmologischen Vorerkrankungen (etwa COPD) verschiebt sich das Erregerspektrum in den gramnegativen Bereich. Diese Problemkeime werden neben den Leitkeimen von Levofloxacin (Tavanic®) gut erfasst. Hingegen wird bei Patienten ohne Vorerkrankung („dünne“ Karteikarte) eher das „klassische“ Erregerspektrum erwartet. Es überwiegen Pneumokokken, vergesellschaftet mit Haemophilus, Moraxella und „atypischen“ Erregern wie Chlamydien oder Mycoplasmen. Diese Erreger liegen im Wirkspektrum von Telithromycin (Ketek®). Bei Kinder werden die Makrolide oder Cephalosporine empfohlen.

Gastrointestinale Infektionen:

Bei Helicobacter pylori Infektionen wird die „Tripeltherapie“ (Omeprazol, Metronidazol und Clarithromycin) empfohlen. Achtung! Resistenzlage von Metronidazol und Clarithromycin beachten. Antibakteriell aktiv ist hier auch das Telithromycin.

Sind Salmonellen im Spiel, werden diese von Levofloxacin erfasst. Bei Kindern sollte hier auch auf die Makrolide oder Cephalosporine zurückgegriffen werden.

Harnwegsinfektionen:

Bei Patienten mit Begleiterkrankungen sollte ein Chinolon wie z.B. Levofloxacin gewählt werden, das neben E. coli auch Staphylococcus saprophyticus sowie Chlamydien im Wirkspektrum hat. Es macht wenig Sinn, auf ein älteres Chinolon wie Norfloxacin auszuweichen. Alternierend können Co-trimoxazol oder Levofloxacin bei Patienten ohne Begleiterkrankungen bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen eingesetzt werden, um einer Resistenzbildung keinen Vorschub zu leisten. Bei Kindern ist ein Cephalosporin der Gruppe 2 oder 3 zu empfehlen.

Haut- und Weichteilinfektionen:

Bei diesen Infektionen sind aufgrund des zu erwartenden Spektrums ein stapholokokkenwirksames Cephalosporin der Gruppe 1 oder 2 zu empfehlen. Beim diabetischen Fuß kommt es zu einer Verschiebung ins gramnegative Spektrum, hier liegen gute Erfahrungen mit Chinolonen (z. B. Tavanic®) vor.

Sonstige:

Bei Erwachsenen kann Doxycyclin bei der Lyme-Borreliose im Frühstadium empfohlen werden. Auch erfasst werden „atypische“ Erreger. Alternativ bietet sich hier jeweils das Ketolid (Ketek®) an. Bei Kindern sollte wieder auf die Makrolide zurückgegriffen werden.

Wichtig: Kein Antibiotikum erfasst alle Erreger. Entscheidend ist, ohne Kenntnis der Ergebnisse des Antibiogramms das Antibiotikum  auszuwählen, das die wahrscheinlich in Frage kommenden Erreger erfasst und abtötet. Dabei soll es Compliance-freundlich und gut verträglich für den Patienten und  mit der Begleitmedikation sein. Die natürlichen Grenzen der verschiedenen Antibiotika (Wirklücken) sind in den Tabellen 2 und 3 wiedergegeben.

Literatur:

1a) F. Vogel et al,  Chemotherapie Journal, 11. Jg. Heft 2, 47 – 58, 2002

1b) H.Scholz et al, Chemotherapie Journal, 11. Jg. Heft 2, 59 – 70, 2002

2) C. Simon, W. Stille, Antibiotikatherapie in Klinik und Praxis, ISBN 3-7945-1970-1, 2000

3) E. Rosenthal, P.Shah, Therapie häufiger Infektionen in der täglichen Praxis, ISBN 3-00-011396-7, 2002