replicawatches
Praxis

Therapie der Lyme-Borreliose

Die Anforderungen an eine Therapie der Borreliose hängen entscheidend vom Stadium der Erkrankung ab. Im Frühstadium gibt es noch keine vaskulitischen Prozesse, die die Penetration des Antibiotikums behindern würden. Daher ist hier eine orale Therapie oft noch ausreichend. Auch bei Kindern genügt meist eine orale Therapie (vermutlich wegen der anderen Struktur des Bindegewebes, das weniger Kollagen und mehr Proteoglykansulfat enthält). Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Erreger nur in der Teilungsphase für ein Antibiotikum empfindlich sind. Ruhende Keime ("Persister") können also unter Umständen die Therapie überdauern. Wegen der langen Generationszeit der Borrelien (8-35 Stunden) sind Persister vermutlich nicht selten.

 

 

 

 

Grundsätzlich sind nach in-vitro-Untersuchungen (Tests mit Borrelien in Kultur „im Reagenzglas“) Tetracycline, Doxicyclin, Erythromycin, Amoxicillin, Cefotaxim und Ceftriaxon am wirksamsten. Die MHK90-Werte liegen zwischen 0,05 und 1 mg/l. Für Penicillin G wurden dagegen Werte bis 8 mg/l gemessen. Auch im Tierversuch waren die Ergebnisse mit Penicillin und Erythromycin enttäuschend (Literatur: PREAC-MURSIC). Daher ist heute Penicillin nicht mehr das Präparat der Wahl, zumal vermehrt über die erfolgreiche Anzucht des Erregers auch nach hochdosierter Penicillintherapie berichtet wurde (Literatur: PREAC-MURSIC, JOHNSON).

Erythromycin hat trotz hervorragender in-vitro-Werte bisher klinisch und im Tierversuch enttäuscht, was an unzureichenden Gewebespiegeln liegen könnte. Das neuere Makrolid Azithromycin konnte in einer größeren Studie (STRLE) dagegen überzeugen.

 

Bei der Therapieplanung ist immer zu berücksichtigen, daß eine systemische Infektion therapiert werden muß. Das Verschwinden einer Hautläsion beweist keinesfalls die Heilung der Krankheit. Hier gibt es wichtige Parallelen zur Syphilis, wo ebenfalls Spätmanifestationen bei vermeintlich ausreichend therapierten Patienten beobachtet wurden.

 

Die verwendeten Antibiotika dürfen nicht unterdosiert werden. Es ist mit Sicherheit sinnlos, eine Lyme-Arthritis mit 100 mg Doxicyclin oral täglich therapieren zu wollen. (zum Vergleich: Cefotaxim, Erythromycin und Doxicyclin haben eine vergleichbare Aktivität gegen Borrelien; im Fall des Cefotaxim werden 6000 mg täglich gegeben, also wesentlich höhere Spiegel erreicht!) Bei 200mg Doxicyclin oral als Einzeldosis erreicht man Serumspiegel von etwa 3-4 mg/l. Dies reicht nicht aus, um auch Keime in schlecht zugänglichen Geweben zu erreichen.

 

Viele vermeintliche Therapieversager dürften lediglich auf erhebliche Unterdosierungen zurückzuführen sein! Es ist auch sicher nicht sinnvoll, bei Versagen eines "optimalen" Regimes auf ein minder wirksames auszuweichen.


EMPFEHLUNGEN ZUR THERAPIE

(Stand 9/2003)

 

Stadium 1 (Lokalinfektion):

Doxicyclin 2 bis 3x100 mg täglich oral über 3 Wochen
Alternative ist Amoxicillin (z.B. 3x1 g bei Erwachsenen)
eventuell in Kombination mit Probenecid, oder
Cefuroxim 3x500 mg/20 Tage.
Die Kombination Amoxicillin mit Clavulansäure („Augmentan“) ist unsinnig
(Borrelien bilden keine Penicillinase!)
ebenfalls geeignet ist Azithromycin (500mg/10 Tage)
Bei Kindern grundsätzlich Amoxicillin

Stadium 2 („Generalisationsphase“ ):

Cefotaxim („Claforan“) 2x3 g/die über 12-14 Tage
Ceftriaxon („Rocephin“) 2 bis 4 g/die über 12-14 Tage
Reserve: Doxicyclin 2 bis 3x100 mg iv über 21 Tage
Imipenem („Zienam“), „Azithromycin“ (Zithromax)

Stadium 3 (Spätmanifestationen > 6 Monate)

Cefotaxim (Claforan“) 2x3 g/die über 15-21 Tage
Ceftriaxon („Rocephin“) 4g über 14-21 Tage
Reserve : Doxicyclin iv, Imipenem
Makrolide (auch Azithromycin!) sind im chronischen Stadium
grundsätzlich nicht geeignet

Bei Versagen der Therapie Wiederholung mit evtl noch höherer Dosierung (z.B. 3x4 g Cefotaxim). In den wenigen wirklich therapierefraktären Fällen kann der Versuch einer "gepulsten" Hochdosistherapie mit Cefotaxim gemacht werden (Lit: Hassler).

 

Circa 80 % der Patienten im chronischen Stadium lassen sich mit einem Therapiezyklus sanieren, von den verbleibenden 20% benötigen 2/3 einen zweiten, einige wenige einen dritten oder gar vierten Zyklus. Läßt sich kein Therapieeffekt erzielen, sollte das auch Anlaß sein, das verwendete Therapieregime und auch die Diagnose kritisch zu überprüfen! Gerade in solchen Fällen sollte immer wieder der Versuch gemacht werden, eine Erregerpersistenz auch tatsächlich zu beweisen (kulturell oder mit PCR).

Therapieprobleme

Bei Therapiebeginn ist mit der Möglichkeit einer Herxheimer-Reaktion zu rechnen: Der Patient wird nach wenigen Stunden auffallend blaß, bekommt manchmal Schüttelfröste und eventuell Fieber und eine deutliche Vasokonstriktion. Am zweiten Tag kehrt sich dieser Effekt um: der Blutdruck fällt infolge starker Vasodilatation, der Patient zeigt eine starke Gesichtsrötung und klagt über Abgeschlagenheit, Kopf- und Muskelschmerzen. Am dritten Tag verschwindet in der Regel diese Reaktion, Gelenkbeschwerden können sich allerdings protrahiert über mehrere Tage verschlechtern. Gelenkergüsse können sogar erstmalig unter Therapie auftreten. (Literatur: Steere, Weber, Hassler) Bei Infusionsbehandlung mit einem der Cephalosporinpräparate ist die Herxheimer-Reaktion praktisch immer zu beobachten. Tritt sie überhaupt nicht auf, sind Zweifel an der Diagnose erlaubt. Die Herxheimer-Reaktion wird mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Freisetzung von Tumornekrosefaktor (TNF) bzw. Interleukin 1 (Il-1) aus stimulierten Makrophagen ausgelöst.

 

Zur Prophylaxe der Herxheimer-Reaktion hat sich z.B. Solu-Decortin in einer Dosierung von 250 mg intravenös 60 Minuten vor der ersten Infusion bewährt. Bei oraler Therapie im Stadium 1 ist dies nicht nötig. Die Herxheimer-Reaktion wird durch die Corticoid-Prophylaxe nicht vollständig, aber weitgehend unterdrückt.

Allergische Zwischenfälle sind selten (in unseren Fällen bei 1200 Therapien mit Claforan drei allergische Sofortreaktionen, 34 Allergien vom verzögerten Typ (meist in Form eines Hautausschlages ab dem 9. Tag), einmal eine Colitis.

 

Bei Rocephin sind Durchfälle sehr häufig (fast 50%).

 
Kontrolle und Nachsorge (follow-up):

Alle drei Monate nach Therapie wird nach klinischen Kriterien und serologisch der Verlauf kontrolliert. Der Therapieerfolg wird in erster Linie klinisch beurteilt, da zuverlässige Laborparameter zur Feststellung einer Heilung nicht existieren. Der mit Immunfluoreszenztest gemessene IgG-Titer fällt oft, aber nicht immer nach erfolgreicher Therapie etwa um eine Titerstufe in drei Monaten ab. Für den Enzymimmuntest ist dies nicht einheitlich zu beantworten. Jeder Test scheint seine eigene Kinetik zu haben.

 

Es ist nicht sinnvoll, unmittelbar nach Therapieende den Titer zu kontrollieren, weil der Titer infolge vermehrter Antigenpräsentation oft sogar noch einmal kurzfristig ansteigt. Die Kontrolle der Antigenausscheidung im Urin (siehe oben) scheint dagegen ein besseres Verfahren zur Kontrolle des Heilungseffektes zu sein.

 

Rezidive sind auch noch nach bis zu zwei Jahren möglich. Vermutlich werden sie von Persistern im Kollagen ausgelöst. In dieser erneuten Vermehrungsphase der Erreger lassen sich dann auch wieder Erregerproteine im Urin nachweisen.

 

Die Nachsorge muß unbedingt auch einen möglichen Symptomwechsel erfassen (der Arthritiker sucht eventuell eine andere Ambulanz auf als der Patient mit Hautsymptomen der Frühphase!)

Artikel weiter lesen (6. Literatur + Recherche) ->